Podiumsdiskussion zur Inklusion

Experten: Maik Dietrich-Gibhardt, Direktor der Hephata-Diakonie, und Professor Dr. Hans-Peter Klein (rechts) von der Goethe-Universität Frankfurt waren im Steinatal zu Gast.  Foto: Rose

Steinatal. „Inklusion - Anspruch und Wirklichkeit: Eine Vision für Gesellschaft und Schule“: Unter diesem Titel stand ein Abend in der Melanchthon-Schule Steinatal, organisiert von der Schule und dem Evangelischen Forum Schwalm-Eder. Zu Gast waren der Direktor der Hephata-Diakonie Maik Dietrich-Gibhardt und Professor Dr. Hans-Peter Klein von der Goethe-Universität in Frankfurt. Der Pfarrer und der Biologie-Didaktiker definierten aus unterschiedlichen Blickwinkeln – aus theologischer, pädagogischer, aber auch gesellschaftlicher Sicht – zunächst den Begriff der Inklusion.

 

Dietrich-Gibhardt gab den Zuhörern ein Bild mit auf dem Weg, das einer Karikatur. In der stehe eine große graue Mauer mit einem Schild, auf dem „Sonderschule“ geschrieben steht. Durch einen schmale Durchlass in der Mauer fahre Tim, im Rollstuhl sitzend, auf zwei Kinder ohne sichtbare Behinderung zu. Tim sagt zu ihnen: „Hallo, ich bin aus dem Paralleluniversum von nebenan.“ Dabei sei es doch schlicht eine Begegnung. Der Begriff der Inklusion sei ein Begriff der Unschärfe: „Ist die Einbeziehung aller der Prozess oder das Ziel? Oder beides?“, überlegte Dietrich-Gibhardt. Auf jeden Fall müsse die Gesellschaft in den Prozess der gleichen Teilhabe mit einbezogen werden. „Aber es ist ein überheblicher Gedanke, dass wir wüssten, was für Andere das Beste wäre“, stellte er klar. Dietrich-Gibhardt sprach von einem „Kurzschluss“, besondere Strukturen wie Förderschulen und Werkstätten aufzulösen. „Wir müssen nur die Durchlässigkeit erhöhen.“ Das sei jedoch kein Spar-, ja schon gar kein Einsparmodell: „Nötig sind Ressourcen, Qualifikationen, Personal und Räume.“ Inklusion sei eine „gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe“.

Chancen und Grenzen einer pädagogischen Vision zeigte Klein auf. „Es gibt vier Konzepte, die sich widersprechen.“ Etwa die „Inklusion light“, dabei gehe es um die Integration einiger Förderschüler. Im Modell zwei würden an den Schulen Förderkurse angeboten. Ziel sei die Eingliederung einzelner Schüler in das System. Als drittes Konzept greife die Förderung in der Klasse, praktiziert in Stadtteil-Schulen Hamburgs. Alle Schüler gehen in dieselbe Klasse, es gebe einen zusätzlichen Förderlehrer, Einzelbetreuung, aber ein gemeinsames Lernziel. Die radikale Inklusion sehe offenen Unterricht ohne Klassen vor, drei Jahrgänge lernen zusammen. Lernstärkere würden den Schwächeren helfen, ohne gemeinsames Lernziel und Noten, dafür mit einem individuellen Lehrplan für jeden Schüler. Das sei ein schwedisches Vorbild, das aktuell am meisten propagiert werde.

Klein stellte die Hattie-Studie vor, die untersucht, was wirkt und was nicht, gab aber zu bedenken: „Jede wissenschaftliche Studie können Sie mit einer anderen Studie widerlegen.“ „Panorama“ berichte über „Lehrer am Limit“. Bildungsminister Michael Brodkorb stelle die Systemfrage und gebe zu bedenken, dass radikale Inklusion sich letztlich auch von Bildungsstandards verabschiede.

Von Sandra Rose